Über das Nett sein
Über das Nett sein

Über das Nett sein

Vor ein paar Jahren hatte ich auf einer Party im Ort eine tolle Person kennengelernt.
Der Vibe war super und innerhalb kürzester Zeit haben wir uns anstelle der Standard-Smalltalk Sachen über die wirklich interessanten Themen ausgetauscht.
Irgendwann kamen wir auf das Thema Beziehung. Ich war damals single und wenn ich was wollte, hatte das damals noch nicht wirklich geklappt.
Ihr Urteil kam wie aus der Pistole geschossen: „Das ist doch klar. Du bist zu nett“.

Fuck. War das wirklich so einfach? Wir kannten uns gerade einmal erst 10 Minuten und der Fall war so klar?
Ich war wirklich sehr nett.
So wie man(n) das lernt, habe ich mich darum bemüht, freundlich zu sein, Bedürfnisse der anderen zu respektieren und keinen Schaden zu verursachen.
Doch das, was ich dabei außer Acht gelassen hatte, waren meine eigenen Bedürfnisse.

Sie hatte Recht. Familienfeste waren oft sehr anstrengend: „Ich muss ja freundlich sein und einen guten Eindruck bewahren“, „Sei ein Vorbild für deine Cousins!“, haben sie gesagt.

Auch Grundglaubenssätze wie „wenn ich nett bin und helfe sind die anderen auch nett und ich bekomme was zurück“ oder „die anderen sind enttäuscht von mir, wenn ich nicht nett bin“ haben sich verankert.

Das Problem ist: Solche Glaubenssätze funktionieren nicht. Ständig in Reaktion auf andere zu sein und Versuche, die eigenen Erwartungen zu erfüllen enden in Enttäuschung erst über sich selbst und die anderen.

Bedingungslos nett zu sein ist furchtbar selbstschädigend.

Bevor wir anderen helfen, sollten wir zunächst auf unsere eigenen Bedürfnisse hören.

„Doch Steffen, bedeutet das, dass ich jetzt zum Arschloch werden muss und nicht mehr anderen helfen darf?

Nein. Nicht nett sein heißt nicht, dass man zu einem Arschloch wird, nur weil man auf seine eigenen Bedürfnisse hört.

Es lässt sich gut auf einer Skala darstellen:

Nett sind diejenigen, die die Bedürfnisse anderer vor die eigenen stellen. Eigene Bedürfnisse und Folgen sind den netten Personen beim nett sein oftmals nicht bewusst.
Arschlöcher / Bad Boys sind diejenigen, die ihre eigenen Bedürfnisse verfolgen, ohne auf die Bedürfnisse der anderen zu achten. Nach Beziehungen mit solchen Personen heißt es oft: „Er war so ein Narzisst, nie hat er auf mich gehört“ und oft sind es sehr liebe/gute/nette Menschen, die diesen Spruch sagen.

Ziel ist die Mitte. Beides. Auf alle Bedürfnisse zu achten und wenn möglich zunächst die eigenen erfüllen. Denn wer mit sich selbst im Reinen ist, kann anderen viel besser helfen und wirklich Gutes tun.

Nicht ungefragt anderen helfen, die nicht darum gebeten haben.
Nicht immer gut gelaunt sein wollen.
Nicht Konflikten aus dem Weg gehen, um des Friedens willens.

Authentisch zu sein heißt, Grenzen ziehen zu können, sich nicht alles gefallen zu lassen, nein zu sagen und sich Konflikten zu stellen, wenn es angebracht ist. Keine falschen Deals, keine Scheinheiligkeit, und keine Erwartungen, irgendetwas für andere aus reiner Nettigkeit tun zu müssen. Nett sein ist ok. Aufmerksam sein und helfen wollen ist ok. Doch es gibt eine Grenze und die zu finden muss jeder mit sich selbst ausmachen. Leute seid ehrlich zu euch und den anderen.

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